Unterwegs auf dem Jakobsweg
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Etappe München-Le Puy
Etappe Le Puy-St.Jean-PdP
Etappe St.Jean-PdP-Santiago
Wir
Neugierig darauf, was sich jetzt gegenüber unserem bisherigen Wanderweg verändern würde, betraten wir das Städtchen Le Puy. Unser erster Weg führte durch steile, mittelalterliche Gässchen zur hoch in der Mitte aufragenden Kathedrale.
Die Bauarbeiten an dieser mächtigen Kirche begannen im 11. Jahrhundert. Die Bauidee soll der Bischof von Le Puy aus Konstantinopel mitgebracht haben. Fremdartig und exotisch mutet das Innere an. Die Ampeln des ewigen Lichts beleuchten geheimnisvoll die schwarze Madonna, die ein Kreuzfahrer aus dem Nahen Osten mitgebracht hat. Seither zieht sie Wallfahrer aus ganz Europa an. In der Architektur und den Fresken finden sich neben romanischen Bögen viele orientalische Motive und arabische Einflüsse. Wir freuten uns besonders, als wir die Statue des Hl. Jakob in der Kathedrale entdeckten, kamen am nächsten Morgen gerade rechtzeitig zur Pilgermesse und holten uns anschließend in der Sakristei den ersten offiziellen Stempel des Jakobsweges. Jetzt konnten wir es kaum erwarten, den Spuren der Pilger bis nach Santiago zu folgen. Wir schlenderten zum Ausgangspunkt der Via podiensis, der Rue St. Jaques, besorgten uns auf dem lebhaften Marktplatz eine Brotzeit für unterwegs und wanderten über ein steiles Sträßchen aus der Stadt hinaus auf die Hochfläche der Berge des Veley.
Die Via podiensis ist identisch mit dem französischen Weitwanderweg GR65 und etwa 800 km lang. Sie beginnt in Le Puy, klettert über das Hochland der Margeride und die Berge des Aubrac im ständigen auf und ab bis zum Kloster Conques; weiter nach Moissac und durch die Gascogne bis nach St. Jean Pied de Port am Fuß der Pyrenäen.
Auf Asche und schwarzen Steinbrocken, die der Vulkan vor Zeiten ausgespien hat, wanderten wir durchs Zentralmassiv und dachten darüber nach, ob wir unterwegs etwas von den Pilgern spüren würden, die vorausgegangen waren, ob man ihre Spur wirklich aufnehmen konnte und sich ihnen zugehörig fühlte? Ob der Weg etwas von ihren Hoffnungen übertrug?.
Bedenkenlos konnten wir in der herrlichen Frühlingslandschaft der Margeride, die zum Massif Central gehört, dahinschlendern, ließen uns gerne leiten von den zuverlässigen, rot-weißen Markierungen des GR 65 und freuten uns, dass wir die eigene Suche nach geeigneten Weiterwegen in Richtung Westen nicht mehr benötigten. Waren wir bisher alleine unterwegs und hatten in Gasthöfen übernachtet, so stellten wir jetzt fest, dass uns andere Wanderer immer wieder begegneten, knüpften erste Kontakte, unterhielten uns über das nächste Tagesziel und lernten, dass es gute französische Wanderherbergen gibt. Die erste Gite, in der wir übernachteten, gefiel uns besonders gut: Der Gutshof Domaine du Sauvage aus dem 13. Jahrhundert. Damals gehörte er zu einem nahegelegenen Hospiz der Templer. Heute lebt das Pächterehepaar von der Landwirtschaft und vom Betrieb der Wander-Herberge.
In dem großen und urgemütlichen Raum fanden wir alles, was wir zum Ausruhen und Wohlfühlen brauchten. Wir wärmten uns am großen Kamin mit offenem Feuer, während an einem riesigen Herd bereits "Meisterköche" am Werk waren. Von norwegisch-deftig bis hin zum französischen Gourmet-Menü wurde alles gezaubert, was Küche, Keller oder Rucksack hergaben. An langen Holztischen erholten sich Holländer, Franzosen, Norweger und Deutsche vom anstrengenden Wandertag. Trotz der unterschiedlichen Sprachen verstanden sich alle prächtig und bildeten eine große Pilgerfamilie.
Bis in eine Höhe von fast 1400 m stiegen wir in den nächsten Tagen hinauf ins Bergland der Aubrac. Wo wir heute durch endlose Weidegebiete wandern, bedeckte früher ein tiefer und dunkler Wald das Bergland. Er bot ein ideales Versteck für Räuberbanden, denen viele Pilger zum Opfer fielen. Die Legende berichtet, dass im 12. Jahrhundert ein flandrischer Graf über die Aubrac pilgerte. Im Unwetter verlor er bei einbrechender Nacht die Spur, entdeckte eine Höhle im Wald und kroch unter. Er machte einen grausigen Fund: Überall in der Höhle verstreut lagen die abgeschnittenen Köpfe von Pilgern. Nach dem ersten Erschrecken legte er ein Gelöbnis ab: Wenn er mit heiler Haut davonkam, wollte er hier eine Schutzstation für Jakobspilger gründen.
Durch dieses Versprechen entstand im 12. Jahrhundert die Domerie Aubrac, ein einmaliges Herbergs- und Wehrkloster. Das Kloster erhielt die augustinische Ordensregel. Vom Ritterorden der Templer, die zugleich Soldaten und Mönche waren, wurden die Pilger nun beschützt und versorgt. Vom ehemaligen Kloster blieben nur ein Turm und die Kirche erhalten, in der sich die Einfachheit und Strenge des damaligen Klosterlebens widerspiegeln.
Der höchste Punkt des Zentralmassivs war nun überschritten. Der Pilgerweg brachte uns durch eine immer lieblicher werdende Landschaft 1000 m tiefer, ins Tal des Lot. Entlang seines Ufers schlenderten wir durch verträumte Dörfer, bewunderten die mächtige Burg der Familie Estaing im gleichnamigen Städtchen, um dahinter das steile Ufer zu erklimmen.
In der üppigen Waldlandschaft träumten wir vor uns hin, nachdenklich einen Fuß vor den anderen setzend, als plötzlich unter uns die Türme der Basilika von Conques auftauchten und nach einer Weile das ganze, dicht in den engen Talkessel gedrängte Dorf. Unweigerlich zogen die Füße auf schnellstem Weg zu dem alles beherrschenden Bauwerk, der Kirche. Vor dem Portal blieben wir wie angewurzelt stehen. Es gehört zu den eindrucksvollsten Werken der romanischen Plastik:
In der Mitte der thronende Weltenrichter inmitten des jüngsten Gerichts. Auf der linken Seite die Auserwählten, darunter auch Karl der Große, ein Gönner des Klosters. Von einem Engel werden sie ins Paradies geführt. Auf der rechten Seite sind die Höllenqualen der Verdammten drastisch dargestellt: Teufel, die mit großem Vergnügen ihre Opfer martern: Einem Verleumder wird die Zunge herausgerissen, einem Geldfälscher das eingeschmolzene Metall zum Trinken eingeflößt, einem anderen zieht man bei lebendigem Leib die Haut ab, die ein Teufel genüsslich verzehrt, eine Frau mit nacktem Busen und ihr Liebhaber warten am Hals zusammengebunden auf ihr vermutlich schreckliches Urteil. In der Mitte thront Satan und überwacht die Folterungen. Da packt einen ja heute noch das Grausen, wir fragten uns, wie das Portal erst früher, in Gold und Farbe gefasst, auf die mittelalterlichen Pilger gewirkt haben mag?
Wir betraten die Kirche und erlagen sofort ihrer Faszination! War es der Mittagsgesang der Mönche? Oder das seltsame Licht, das durch die hohen Pfeiler geisterte? Der leicht dunkle Raum hat etwas mystisches, verheißungsvolles! Wir spürten, diese Kirche ist lebendig, atmet heute noch Pilgergeist. Lange saßen wir in den Bänken und überließen uns der tiefen Geborgenheit, die der hohe Raum und der meditative Männergesang in uns erzeugten. In der Herberge für Pilger und Gäste nebenan wies uns ein freundlicher Pater ein Zimmer zu. Pilger und Patres trafen sich zum Stundengebet im Chorraum der Kirche und anschließend zum Abendessen am großen Tisch eines altehrwürdigen Klosterraumes. Beim harmonischen Abend mit guten Gesprächen erfuhren wir von einem Pater auch etwas über die Entstehung des Klosters: Die Geschichte des Benediktinerklosters von Conques beginnt im 4. Jahrhundert in Agen, wo die Hl. Fides den Märtyrertod erlitt. 5 Jahrhunderte später wurden ihre Reliquien durch den listigen Diebstahl eines Mönches nach Conques gebracht. Schon bald ereigneten sich viele Wunder und die Gläubigen strömten herbei. Im 11. Jahrhundert musste ein größeres Gotteshaus erbaut werden, das heutige. Für die Jakobspilger wurde Conques eine wichtige Station auf dem Weg nach Santiago.
Morgens um 7 Uhr verabschiedeten uns die netten Mönche mit dem Pilgersegen und gaben jedem ein Stück geweihtes Brot mit auf den Weg. Conques war für uns die beeindruckendste und schönste Station am Pilgerweg. Das Ultreya-Lied der Mönche schlich sich in unsere Herzen und würde uns fortan begleiten.
Die Landschaft wechselte allmählich. Erste wärmeliebende Mittelmeerpflanzen, Flaumeichen, tauchten auf. In der karstigen Hochebene des Causse gibt es noch zahlreiche Dolmen. Perlen und andere Funde dieser keltischen Grabstätten wurden ausgegraben und im Museum untergebracht. Durch diese einsame Gegend mit kargen Böden senkt sich ganz allmählich der Wanderweg sanft hinunter ins Tal des Lot zur schon von den Kelten gegründeten Stadt Cahors mit ihrer beeindruckenden Wehrbrücke, dem Pont Valentre.
Wie es sich für eine mittelalterliche Brücke gehört, hat auch sie ihre Legende:
Da sich der Brückenbau in die Länge zog, schloss der Baumeister einen Pakt mit dem Teufel, damit ihm dieser helfe. Nun schritt der Bau mit "höllischer Geschwindigkeit" voran. Als er fertig war, rettete der Baumeister durch eine List seine Seele. Der Teufel rächte sich, indem er einen Eckstein aus dem mittleren Turm herausriss". Dieser heißt seitdem: "Tour du Diable".
Wir freuten uns, dass auch heute noch unzählige Legenden unseren Pilgerweg begleiteten. Die Pilger im Mittelalter hatten oft nur eine ungefähre Ahnung, wo Santiago lag. Sie gingen nach Westen, der untergehenden Sonne zu. Für sie waren die Legenden wie unsichtbare Wegzeichen, an denen sie, ebenso wie an Kreuzen und Steinmalen feststellen konnten, ob sie auf dem richtigen Weg waren.
Uns erwartete ein neues Juwel und eines der schönsten Zeugnisse romanischer Baukunst: Die Abteikirche von Moissac mit ihrem berühmten Tympanon, das die apokalyptischen Visionen des Heiligen Johannes zeigt. Auch im Kreuzgang von Moissac aus dem Jahr 1100, der wie durch ein Wunder ohne nennenswerte Zerstörungen erhalten geblieben ist, könnte man Tage zubringen, um all die Tiere, Pflanzen und Ornamente an den Pfeilern und Kapitellen zu betrachten und zu verstehen zu versuchen. Für uns hatte diese Abtei allerdings mehr Museumscharakter, im Gegensatz zu Conques, wo durch die Mönche Kirche und Kloster noch Leben ausstrahlen.
Wir überquerten das breite Flußbett der Garonne und zogen durch das fruchtbare Land der Gascogne mit ihren 4 alten Bischofsstädten. Über Miradoux wanderten wir nach Lectoure, weiter nach Condom, ins Gebiet des berühmten Armagnac und der Gänseleberpastete und von dort nach Eauze und Aire sur-l'Adour. Leider ist in dieser Gegend durch eine wechselvolle Geschichte fast alles Romanische untergegangen; viele Pilgerspuren sind verweht.
Früher waren die Pilger angehalten, stetig auszuschreiten, ohne sich durch eine schöne Landschaft ablenken zu lassen, und Wandern als eine Art geistiges Exerzitium zu betrachten. Die stille Landschaft Aquitaniens ist dafür besonders geeignet. Wir konnten den Kommentar des nordspanischen Mönches Beatus aus dem 8. Jahrhundert gut nachvollziehen:
"...Ein Tag wie jeder andere seit sie durch die brettflachen "Petites Landes" wandern.
Wälder, Moore, Sände, tausendfach wechselnde Nuancen in Grün, je nach der Wolken Flug, der Sonne Zugriff. Manchmal peitschende Regengüsse. Der Weg vor ihnen ein endloses Band, das ihr Fuß aufspulen muss. Das Gestern? Sie denken nicht mehr daran. Fast haben sie den eigenen Namen vergessen, niemand unter den Gefährten kennt oder braucht ihn. Das Namentliche, Ichhafte bedeutet nichts mehr, schon gar nicht, was einer tat oder trieb. Einzig die Wanderschaft gilt, in der jeder das Gleiche leistet, die gleichen Wünsche, das nämliche Schicksal hat. Alles ist allen gemeinsam. Krankheit oder gar Tod? Wer liegen bleibt, sank in Gottes Schoß. Gelegentlich überfällt sie eine plötzliche Niedergeschlagenheit, ein Gelächter brandet, alles ansteckend, wie ein Vogelschwarm über sie hin. Sie stehen unter einem Bann, leben in der Dauer des Unabänderlichen, sind abgesondert von jenen Mitmenschen, die manchmal zuschauend am Wegrand stehn. Nur eines geleitet, erfüllt sie, wandert stets mit, das Wissen um die Entscheidung, der sie sich überantwortet haben - dem Ausgesetztsein..."
(aus "Aquitanien" v. Helmut Domke)
Allmählich wurde die Landschaft wieder hügeliger, ähnlich unserem Voralpenland, plötzlich tauchte aus dem Dunst die blaue Gebirgskette der Pyrenäen auf. Wir konnten es kaum glauben, rechneten nach: In 2 Tagen würden wir sie erreicht haben, die Via podiensis ging zu Ende. Ebenso unerwartet traf uns in einem kleinen Dorf hinter St. Palais der Stein von Gibraltar, der Brennpunkt der Wege, in Form eines baskischen Grabsteins. Hier vereinen sich alle 3 französischen Pilgerwege zu einem einzigen: Der Paris-Weg, der Vezelay-Weg und der Le Puy-Weg. Ergriffenheit packte uns: Millionen von Pilgern sind hier durchgekommen, seit mehr als einem halben Jahrtausend ein unabreißbarer Menschenstrom.
Wir waren im Land der Basken angekommen und kamen durch einen legendären Ort, der in allen Pilgerführern verzeichnet ist: Ostabat. Der Treffpunkt der Wege war der Stein von Gibraltar, der Treffpunkt der Pilger aber war Ostabat. Mehr als 5000 Pilger konnten hier unterkommen. Heute ist Ostabat ein verschlafenes Nest. Nicht mehr weit ist es von hier aus bis St. Jean Pied de Port, der letzten Pilgerstation auf französischem Boden. Als früher die Pilgergruppen einzogen, läuteten feierlich alle Glocken, galt es doch, nun die Pyrenäen zu überschreiten. Auch uns überkam ein feierliches Gefühl, als wir durch das alte Jakobstor gingen. Froh und glücklich darüber, heil bis hierher gekommen zu sein, strebten wir zum Mittelpunkt der alten Stadt, der gotischen Kirche Notre Dame aus dem 14. Jahrhundert, um Danke zu sagen für alles, was wir bisher auf diesem Weg erleben durften.