Unterwegs auf dem Jakobsweg
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Etappe München-Le Puy
Etappe Le Puy-St.Jean-PdP
Etappe St.Jean-PdP-Santiago
Wir
Fast 1500 m mussten wir am nächsten Morgen aufsteigen, um von Frankreich nach Spanien und damit zum echten Camino de Santiago zu kommen. Die Beschreibung aus einem alten Pilgerführer fanden wir aber doch ein wenig übertrieben:
"Der Berg ist so hoch, dass er den Himmel zu berühren scheint, wer ihn besteigt, glaubt, mit eigener Hand an den Himmel reichen zu können".
Wir hatten den Bergweg zum Ibanetapass hinauf gewählt, die "Route Napoleon", der auch die meisten mittelalterlichen Pilger gefolgt sind. Am Pass erinnert ein Gedenkstein an die Schlacht zwischen Karl dem Großen und den Mauren.
Die Legende berichtet:
Karl der Große hatte eine Vision, worin ihm St. Jakob erschien und ihn zum Kreuzzug gegen die Mauren aufforderte. Hier fand im Jahre 778 die entscheidende Schlacht statt. Die Nachhut Karls, angeführt von Roland, geriet in einen Hinterhalt und fand dabei den Tod. Zu spät hatte Roland sein Horn Olifant geblasen, um den König zu Hilfe zu holen.
Die geschichtliche Wahrheit sieht ein wenig anders aus: Die Basken waren es, die ihn in einen verlustreichen Hinterhalt gelockt hatten. Dieser bedeutendste Sagenstoff des frühen Mittelalters wurde im Rolandslied niedergeschrieben und zählte zum Liedgut der Jakobspilger.
Genau wie diese baten wir im alten Augustinerkonvent aus dem 12. Jahrhundert um ein Quartier, holten uns die Pilgerausweise für Spanien und den ersten Stempel, zusammen mit dem Vermerk, dass wir damit zum Eintritt in die Pilgerherbergen berechtigt sind. In Spanien muss man sich jeden Tag einen Stempel mit Datum und Unterschrift der Herberge oder Kirche am Weg geben lassen, damit auch nachweisbar ist, dass man zu Fuß gegangen ist. In Santiago werden die Stempel geprüft und wer mehr als 150 km zu Fuß gegangen ist, bekommt die "Compostela", eine Bestätigung über die durchgeführte Pilgerwanderung in lateinischer Sprache. Doch bis dahin war noch ein weiter Weg.
In der Stiftskirche St. Maria bewunderten wir die Königin der Pyrenäen und feierten die Pilgermesse mit. Mehr als 100 Pilger waren anwesend, auf dem spanischen Camino würden wir also kaum mehr allein sein.
Durch die grüne Hügellandschaft Navarras mit ihren sauberen Dörfern, die uns wegen ihres Blumenschmucks und den hübschen gemauerten Toreingängen an Bayern erinnerten, wanderten wir Pamplona entgegen, das schon von den Römern gegründet wurde und später die Hauptstadt des Königreichs Navarra war. Wir betraten die Stadt über die romanische Magdalenenbrücke und das Frankentor. Obwohl die Fiesta und damit die Stierkämpfe erst im Juli stattfinden, wirkte das Großstadtleben nach dem einsamen Weg durch abgeschiedene Dörfer laut und hektisch auf uns. Bald schon ließen wir Pamplona hinter uns und freuten uns, als die Caminozeichen den Weiterweg wiesen:
Vielfältig sind sie, in jeder Region anders, doch in ihrer Wirkung immer gleich: Sie geben Vertrautheit, Geborgenheit, das Gefühl, sich auf dem richtigen Weg zu befinden und eins zu sein mit den unzähligen Pilgern vor und nach uns. Auch spürten wir den Schutz der einheimischen Bevölkerung, fühlten uns in keinem Augenblick fremd oder bedroht, ob wir nach dem Weg fragten oder in einer Bar von einem Betrunkenen angesprochen wurden, immer war sofort ein hilfsbereiter Einheimischer da, der uns beriet oder Gefahren und Ärgernisse von uns fernzuhalten suchte.
Hinter Obanos, vor Puente La Reina mündet der Arles-Weg in den Weg von Roncesvalles. Ab hier gibt es nur noch einen einzigen Weg nach Santiago. Er führt zunächst zur alten Pilgerbrücke von Puente la Reina: Beinahe ehrfürchtig setzten wir unsere Füße auf die 900 Jahre alte "Brücke der Königin". In der Santiagokirche faszinierte uns sofort die gotische, bemalte und vergoldete Holzfigur des Hl. Jakob: Ein mächtige Bart umrahmt ein ausdrucksstarkes Gesicht mit gütigen Augen und natürlich mit Pilgerstab und Pilgermuschel. Einige Pilger waren schon bei ihm versammelt, erkennend fielen wir uns um den Hals, bereits mehrfach waren wir uns begegnet und gemeinsam genossen wir die alte Stadt.
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Malerisch liegt das einstige Königsstädtchen Estella in der wunderschönen Weingegend des Rioja. Wir hielten uns nicht lange auf, strebten weiter, hatte es sich doch herumgesprochen, dass hinter dem Ort Kloster und Weingut Irache liegen, wo aus einem Brunnen Rotwein und Wasser fließt. Da können durstige Pilger auf keinen Fall widerstehen, wir löschten ausgiebig unseren Durst, füllten die Flaschen bis zum Rand - und hatten alle Mühe, unser nächstes Tagesziel Los Arcos rechtzeitig zu erreichen.
Der schönsten und bekanntesten Camino-Legende begegneten wir ein paar Tage später in Santo Domingo de la Calzada. Einst lebte hier ein Eremit, der sein Leben in den Dienst der Pilger gestellt hatte:
In der Kathedrale erinnert ein Hühnerstall mit lebendigem weißen Hahn und Henne an die Legende vom jungen Pilger, der im Gasthof rastete und sich der wollüstigen Magd widersetzte. Aus Rache versteckte die Enttäuschte einen silbernen Becher bei ihm und bezichtigte ihn des Diebstahls. Der Richter verurteilte den Burschen zum Tod am Strang. Man hängte ihn auf und stellte später fest, dass er noch quicklebendig war. Rasch trug man die Kunde dem Richter zu, der sich gerade zum Mahl gesetzt hatte. Höhnisch stieß er aus, dass Hahn und Henne von seinem Bratspieß flögen, wenn die Geschichte wahr wäre. Die Tiere flogen auf und davon.
Langsam hebt sich hinter Santo Domingo das weite Hügelland zu den einsamen Oca-Bergen. Früher waren sie wegen der Wegelagerer gefürchtet, uns bescherten sie in San Juan de Ortega ein idyllisch gelegenes Pilgerhospiz neben der romanischen Kirche, eingebettet in einen weiten Platz, weit entfernt von aller Hektik der Zeit. Hier hat sich sicher seit Hunderten von Jahren nicht viel verändert.
In dieser Gegend, der Sierra de Atapuerca, hat man 1992 menschliche Überreste von aufsehenerregendem Alter entdeckt. Man vermutet sogar, dass der Mensch von Atapuerca der älteste Homo sapiens in ganz Europa sein könnte.
Von hier geht der Blick hinunter auf eine der größten Städte am Pilgerweg: Burgos! Egal von welchem Punkt aus man nach Burgos schaut, immer ist es die Kathedrale, die mit ihrem Türmen das Stadtbild beherrscht. Meister der Gotik haben ihre Handschrift hinterlassen. Die Kirche zählt zu den schönsten Spaniens, ein Symbol für kirchliche Macht und tiefe Religiosität. 300 Jahre lang wurde an ihr gebaut!
Doch für Pilger ist Burgos einfach zu groß. Es würde Tage dauern, alles zu besichtigen. Wir nahmen uns vor, bald wiederzukommen und strebten weiter.
Neue Herausforderungen warteten auf uns:
Zwischen Burgos und León erstreckt sich 200 km lang die von allen Pilgern gefürchtete Meseta!
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Es ist die heißeste Gegend Nordspaniens mit unendlichen Horizonten und riesigen Feldern.
In den wenigen Dörfern passen sich die Häuser in ihrer Farbe und Trockenheit dem Boden an, man bäckt sie aus Lehm und Häcksel. Die Sommerhitze lässt den Backstein bersten. Am Rande der Dörfer sind Stollen in die Hügel getrieben, um alles zu bergen, was das Leben am Rande des möglichen erhalten kann.
Wir erreichten Sahagún, im Mittelalter eine bedeutende Stadt. Die Benediktinerabtei war die mächtigste am Jakobsweg. Viele Kirchen zeugen von dieser reichen Vergangenheit. Als wir ankamen, feierte Sahagún den Namenstag des Ortsheiligen San Juan und die ganze Stadt war auf den Beinen. Eine Musikkapelle nach der anderen bewegte sich - wie sollte es in Spanien anders sein - in Richtung der Stierkampfarena.
Doch wir sind mit den uralten Ritualen des Stierkampfes, der zugleich einen Kampf des Lebens gegen den Tod darstellt, nicht so vertraut und gingen lieber schlafen, um fit zu sei für die kommenden Meseta-Tage.An nächsten Morgen fanden wir uns wieder in gleicher Landschaft. Stunde um Stunde zieht sich der Pilgerpfad dahin, will kein Ende nehmen. Die Horizonte der Meseta wandern mit. Es gibt nichts, was Blick oder Geist ablenken könnte. Zum ersten Mal auf unserer langen Wanderung stießen wir an unsere physischen und psychischen Grenzen, erlebten Durststrecken im wahrsten Sinn des Wortes. Der Kopf war leer, die Gedanken drehten sich im Kreis.
Wir fragten uns:
- Was tu ich eigentlich hier?
- Warum nur geh ich diesen Weg?
- Wo wird er mich hinführen?
- Was treibt mich weiter jeden Tag?
- Was ist der Sinn?
Der Gedanke an die Pilger vor uns, die diesen Weg schon gegangen waren, tröstete uns schließlich, die Stimmung hellte sich wieder auf. Endlich war León erreicht! Wir hatten es geschafft! Übermütig und glücklich durchstreiften wir die alte Königsstadt, stießen unweigerlich auf die Kathedrale, die als schönste Kirche Spaniens gilt. Fasziniert betrachteten wir die herrlichen Rosetten- und unzähligen Buntglasfenster, die immer neue farbige Lichtspiele in die hohe gotische Halle zaubern. Über 100 Fenster leuchten die Kathedrale aus.
Alle Pilger machen beim Verlassen der Stadt Halt vor der Fassade von San Marcos. Die Statue von Jakob als Matamoros am Portal und viele Muscheln zeugen davon, dass es früher eines der bekanntesten und meistbesuchtesten Pilgerhospize des Jakobswegs war, heute beherbergt es ein Nobelhotel.
Nur noch knappe 300 km sind es noch bis Santiago. Der Weg aus der Stadt durch unerfreuliches Vorstadtgebiet zieht sich laut und gefährlich am Rande der Autobahn dahin. Deshalb waren wir froh, als wir die mittelalterliche Brücke in Puente de Órbigo erreichen. Städte und Wege verändern sich, die alten Brücken aber überspannen seit Jahrhunderten unverändert die Flüsse. Auf ihnen fühlten wir uns den mittelalterlichen Pilgern am stärksten verbunden.
In der kleinen Stadt Astorga sammelten die Pilger früher ihre Kräfte für die letzte schwere Etappe. Uns zog es weiter, über stetig ansteigende Pfade durch eine trockene, gottverlassene Gegend. Die weniger Dörfer scheinen nicht mehr bewohnt zu sein.
Deshalb freuten wir uns, als wir in Rabanal del Camino auf ein neu restauriertes Refugio, ein Gasthaus neben der Kirche und auf Menschen trafen. Schon in den Karlssagen wurde der Ort erwähnt. Die Nachfahren von Berbern hatten sich in dieser ursprünglichen Gegend niedergelassen und ihr altes Brauchtum lange erhalten. Doch durch die Landflucht war Rabanal fast völlig ausgestorben. Heute regt sich wieder Leben. Eines der wenigen romanischen Bauwerke der Gegend ist die Kirche Santa Maria. Ihre Schutzpatronin deutet darauf hin, dass hier ein Sitz des Templerordens war. Jetzt bemühen sich Priester u. Herbergsvater wieder gemeinsam um die Pilger, vor allem auch um ihre Seelen. Die Andachten in dieser Kirche, in der beide gemeinsam mit den Pilgern sangen und beteten, zählen für uns zu den unvergesslichsten am Pilgerweg.
Das nächste Bergdorf Foncebadón war einst eine wichtige Pass-Station mit Hospiz und sogar Schauplatz eines spanischen Konzils! Heute ist es verlassen.
Doch unser Augenmerk war nach oben gerichtet, zum schlichtesten, aber dafür bekanntesten Kreuz des Camino, dem Cruz de Ferro. Seit 1000 Jahren und länger ist es Tradition der Pilger, hier einen Stein abzulegen als Zeichen menschlicher Last und als Zeichen des Loslassen-Könnens. Geschichten über Geschichten türmen sich auf, die Schicksale vieler Menschen sind in diesem Hügel abgelegt. Auch wir hatten unseren Stein von zuhause bis hierher getragen und ihm vieles anvertraut, das wir hier niederlegten zu den Millionen anderer Steine aus aller Welt.
Frisch und klar war die Luft auf 1500 m Höhe und doch streifte mit dem Wind der Duft nach südlichen Kräutern über die Hänge und in unsere Nasen. Nur Pilger waren unterwegs in dieser einsamen Landschaft. Plötzlich tauchte ein Bauernhof auf, Gänse schnatterten, Hühner flogen herum - aber große Wegweiser zeigten die Kilometerzahl nach Rom und Jerusalem an - war es vielleicht doch eine Herberge? Neugierig traten wir näher - und lernten Thomas kennen. Er bezeichnet sich als Templer-Nachfolger und kümmert sich seit einiger Zeit hier in der Einsamkeit um die Pilger. Thomas hielt ein Templer-Ritual ab und wir durften teilnehmen.
Leider verstanden wir wegen unserer schlechten Spanisch-Kenntnisse wenig. Still beschäftigten wir uns mit der Frage, was aus diesem geheimnisumwitterten Ritter-Orden wirklich geworden ist, der anfangs des 12. Jahrhunderts zum Schutz der Pilger gegründet wurde. 200 Jahre lang beeinflussten die Templer die Geschichte Europas, denn sie besaßen Macht und Wissen. Auch in der Templerburg von Ponferrada waren sie die Schutzpatrone der Wallfahrer. Wegen ihres Reichtums zogen sie sich den Neid der weltlichen und kirchlichen Herrscher zu. Sie wurden wegen Ketzerei angeklagt, ihre Großmeister auf dem Scheiterhaufen verbrannt, der Orden für immer verboten. Die Geschichte der Templer war zu Ende, die Legende begann.
Überall auf dem Pilgerweg begegnen wir ihren Spuren. Ihr Baustil mit dem achteckigen Grundriss hat große Ähnlichkeit mit dem Heiligen Grab in Jerusalem, mit dessen Bewachung die Templer lange Zeit beauftragt waren.
In Villafranca besuchten wir vor dem letzten beschwerlichen Aufstieg die Santiago-Kirche, wie die Pilger früherer Zeiten. Pilger, die es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bis Santiago schafften, erhielten hier den vollen Nachlass ihrer Sünden. Beim Weitergehen stellten wir fest, dass wir auch um Vergebung unserer Sünden hätten bitten sollen, denn auf den ersten 15 km zum Cebreiro verlief der Pilgerpfad auf der Nationalstraße, das Gehen war lebensgefährlich. Wir erinnerten uns lieber an die vielen wunderschönen, aber auch schwierigen Varianten unseres Pilgerweges, und stellten schließlich fest, dass der Pilgerweg mit dem Lebensweg vieles gemeinsam hat: Auch im Leben kann man sich den Weg nicht immer aussuchen, traurige und glückliche Wegstrecken wechseln sich immer wieder ab, wie im Leben müssen wir immer weitergehen und können nichts festhalten, sind "Pilger auf Zeit", jeder muss seinen eigenen Weg gehen, um an seinem Ende bei sich selber anzukommen.
Der Anstieg zum Cebreiro war lang und anstrengend, führte aber durch eine abwechslungsreiche Bergwelt. El Cebreiro ist der erste Ort auf galizischer Seite, auf dem Gebirgskamm verläuft die Provinzgrenze. Die Kirche steht inmitten von keltischen Bauernhäusern mit runden Mauern und schweren Kegeldächern aus Stroh und Heidekraut.
Hier am Cebreiro wird über folgendes Gralswunder berichtet:
"Ein Mönch las die Messe und verspottete einen Bauern, weil der sich nur wegen der Messe durch Schnee und Sturm gekämpft hatte. Bei der Wandlung wurde plötzlich aus dem Wein Blut und aus der Hostie Fleisch. Der Mönch erschrak sehr und wurde durch das Wunder bekehrt".
Die Gralslegende breitete sich schnell in ganz Europa aus und machte den Cebreiro berühmt. Richard Wagner verwendete später das Motiv für seine Oper Parcifal. Eine Nacht verbrachten wir in diesem alten keltischen Ort, der auch heute noch ein Ort der Begegnung ist. Auf luftiger Höhe konnten wir zum ersten Mal nach Galizien hinunterschauen, das schon ein alter Pilgerführer anpreist:
"Dann kommt man nach Galicien, einem waldreichen Land mit Flüssen, Weiden und Baumgärten, guten Früchten und klaren Quellen".
Aber es ist auch eine Landschaft der Märchen und Fabeln, mit unerwarteten Erscheinungen, verzauberten Bäumen, herumirrenden Geistern und keltischen Nebeln. Statt Zäunen umgrenzen aufgestellte Steinplatten Häuser und Felder, ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir uns in einem alten Keltenland befanden. In den kleinen Dörfern fielen uns die eigenwilligen Horreos auf, das sind Getreide- und Maisspeicher, die auf Säulen mit runden Mäusesteinen stehen.
Von einer Bäuerin wurden wir mit Paprikas für eine Brotzeit versorgt und sie lud uns zu sich ins Haus ein. Doch wir rasteten nur kurz, eine merkwürdige Unruhe hatte uns erfasst: Seit der Grenze von Galicien hielt es uns nirgends lange fest, unsere Phantasie klammerte sich nur noch an das Ziel: Santiago. Obwohl uns alles viel zu schnell ging und wir am liebsten innehalten wollten, drängte es uns vorwärts. Wir verstanden es selbst nicht, konnten unsere Gefühle nicht beschreiben. In uns mischten sich Dankbarkeit über den geschafften Weg, Erwartungen für die Ankunft und ein wenig Angst vor einer Enttäuschung. Schweigsamer als sonst wanderten wir in diesen letzten galizischen Tagen. Später fiel es uns schwer, uns die Orte ins Gedächtnis zu rufen, obwohl sie uns gefielen: Sarria, Portomarín, Palas de Rei, Arzúa. Sie alle verschwammen ineinander, wichtig war nur noch Santiago.
Wir kamen nach Lavacolla, von dessen besonderen Bedeutung für die Pilger schon Aimeric berichtete:
"Und ein Fluss, Lavacolla genannt, weil die Pilger sich in dem Gelände, durch das er in zwei Meilen Entfernung von Santiago fließt, entkleideten und aus Liebe zum Apostel den Schmutz des ganzen Körpers abwuschen".
Unversehens standen wir am Monte del Gozo, dem Berg der Freude! Die Pilger früher fielen auf die Knie und sangen, als sie von fern die Kathedrale sahen. Wir konnten sie leider wegen des Morgennebels nicht entdecken. Doch so unglaublich es auch war, Santiago lag vor uns!
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Durch die Porta del Camino, das Tor des Pilgerwegs, betraten wir die Altstadt! Die Füße wurden schneller, eilten weiter, die Spannung wurde unerträglich, wo war die Kathedrale, wer von uns würde sie zuerst sehen? Plötzlich standen wir davor: Das Haus des Jakobus! Die Kathedrale von Santiago de Compostela! Die Freude kam nicht langsam, nein, sie traf uns wie ein Blitz, trieb uns das Wasser in die Augen, überwältigte uns. Den anderen Pilgern ging es ähnlich! Wie betäubt beobachteten wir das fröhliche Treiben auf dem Platz.
Nicht an irgendeinem Ziel waren wir angekommen, sondern an einem Ort, der die Menschen Europas seit Jahrhunderten angezogen hat. Auch wir hatten diese Stadt in uns geahnt, von ihr geträumt, unsere Vision hatte sich erfüllt, wir waren bei Jakob angekommen! Viele von den Pilgern, denen wir unterwegs schon öfters begegnet sind, trafen wir hier am Platz wieder. Die Wiedersehensfreude war jedesmal riesengroß.
Zuerst suchten wir das Pilgerbüro auf. Die Kirchensekretäre studierten unsere Pilgerausweise ganz genau. Von München aus waren wir an diesem Tag die Pilger mit dem weitesten Weg. Deshalb durften wir einen Eintrag ins Pilgerbuch schreiben. Stolz nahmen wir unsere Compostelas in Empfang.
Dann aber hielt uns nichts mehr: Wir wollten endlich zu Jakob gehen, ihn umarmen für uns und alle Menschen, die uns während der langen Pilgerwanderung unterstützten und auch für die, die uns ihre Sorgen und Anliegen mitgegeben hatten. An der Säule des Portico de la Gloria, auf der Jakobus sitzt, legen seit 1000 Jahren die Pilger ihre Finger in die Vertiefungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte in den Stein gegraben haben.
Auch wir setzten die alte Pilgertradition fort und vertrauten Jakob alles an, was wir auf dem Herzen hatten. Ein wunderbares Glücksgefühl breitete sich in uns aus.
Jakob in dieser Kathedrale begrüßen zu können, in der jeden Tag - mit immer neuen Pilgern - gefeiert wird, gibt Zuversicht fürs Leben und vielleicht auch für das, was danach kommt. Genau diese Freude und Zuversicht strahlt aus den Augen all derer, die hier gewesen sind und verändert - vielleicht für immer - die Einstellung zum Leben.
Alle Pilger, die an diesem Tag in Santiago angekommen sind, dürfen während der Pilgermesse vorne im Altarraum sitzen.. Fasziniert beobachteten wir ein uraltes Ritual, das Schwingen des berühmten Weihrauchfasses, des Botafumeiro, durch das Querschiff der Kathedrale und hofften, dass wir in der Hektik des Alltags nicht vergessen würden, was wir auf diesem Weg erfuhren: Nämlich die kleinen Freuden zu schätzen, die man nicht kaufen, sondern nur mit Mühe und Schweiß erringen kann. Durch die uralten, einfachen Rituale dem Tag seinen Sinn zurückgeben.
Noch 2 Tage genossen wir Santiago, diese heitere, lebendige Stadt. Es fiel uns nicht schwer, sie mit den Augen von mittelalterlichen Pilgern zu sehen. Wir schauten uns die barocke Altstadt an, erfreuten uns am galizischen Dudelsack und der mittelalterlichen Musik, schlenderten durch die verwinkelten Gassen Santiagos, doch es zog uns - wie alle anderen Pilger auch - immer wieder zur Kathedrale zurück.