Münchner Jakobsweg-Zubringer Vorbemerkung zum Weg Praktische Hinweise Pilgerwoche 2010
Gedanken über ein Erlebnis des Lebens
Wie Schnüre, die sich zu einem Seil vereinen, ziehen durch ganz Europa Wege, die sich in Spanien zu einem einzigen Weg - dem Camino de Santiago - vereinen, der schließlich zum Grab des Hl. Jakobus nach Santiago de Compostela führt.
Auch in Deutschland wurden in den letzten Jahren etliche alte Pilgerwege wieder erschlossen und markiert, deren zentrale Bedeutung erwiesen ist oder die bereits in mittelalterlichen Reiseberichten erwähnt sind. Die bekanntesten deutschen Pilgerrouten führten in Nord-Süd-Richtung entlang des Rheins oder von Ost nach West über Ulm oder Augsburg zum Bodensee und weiter in die Schweiz nach Einsiedeln.
München liegt etwas abseits dieser großen Routen, dennoch sind natürlich auch von München aus zu allen Zeiten Pilger aufgebrochen oder kamen hier durch. In den letzten Jahren verzeichnet das Angerkloster am Jakobsplatz wieder einen starken Zuwachs an Pilgern, die sich in der Jakobskirche nach Santiago aussenden lassen.
Vor unserer eigenen Pilgerreise fragten wir uns, wie wohl die mittelalterlichen Pilger vorgegangen sind. Bekannt ist, dass sie sich an großen Handelsrouten orientierten, einige Orte an unserem Weg, die an alten Römerstraßen liegen, deuten darauf hin. Ebenso wahrscheinlich ist, dass sie Wege benutzten, welche die damaligen Klöster miteinander verbanden und dass sie, wo es möglich war, in Klöstern übernachteten. Da uns die "Spur der Klöster" am logischsten schien und am besten gefiel, folgten wir auf unserer eigenen Pilgerreise dieser Spur.
Schon in München wurden wir fündig: In der St. Jakobskirche am Jakobsplatz
lassen die Schulschwestern des Angerklosters seit 1983 eine alte Tradition
wieder aufleben, die im 12. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht hatte: Sie
senden Pilger aus und geben ihnen den Reisesegen. Die Jakobskirche geht auf eine
"alte Kapelle des hl. Jacobus in prato" (im Anger, einer Wiese außerhalb der
Stadtmauer) zurück. Der Anger war Rastplatz auf dem Weg nach Santiago. Hier
sammelten die Spanienpilger aus den zentral- und osteuropäischen Ländern neue
Kräfte, bevor sie den weiten Weg zum großen Jakobsheiligtum nach Santiago
fortsetzten. Santiago de Compostela gehört seit dem frühen Mittelalter neben
Jerusalem und Rom zu den berühmtesten Wallfahrtsorten Europas.
Verwundert und gleichzeitig freudig überrascht stellten wir fest, dass von
diesem Kloster aus in jeweils einer bequemen Tagesetappe die Klöster Schäftlarn,
Andechs, Wessobrunn, Rottenbuch und Steingaden zu erreichen sind. In der
Fortführung über den Auerberg und Marktoberdorf liegen die nächsten großen
Klöster in Kempten und Bregenz. Ab dem Bodensee mündet der Weg in die Schweizer
Jakobswege ein. Da uns dieser Weg sehr gut gefiel, sind wir fest davon
überzeugt, dass ihn auch viele mittelalterliche Pilger zu schätzen wussten.
Der Münchner Jakobsweg fädelt ein in die immer bedeutender werdenden Pilgerwege in der Schweiz und in Frankreich und mündet schließlich in Spanien in den "Weg", der den Pilger an sein Ziel nach Santiago de Compostela bringt. Der Pilger wird quasi in einer Zeitreise vom Barock über die Gotik zurück in die Romanik und von unserer heutigen Zeit an den Beginn des "christlichen Abendlandes" geführt.
Auf den Einweihungsfeiern wurden wir von etlichen Interessierten gefragt, ob es zukünftig auch Angebote über "organisierte Wandertouren" auf dem Münchner Jakobsweg geben wird. Deshalb eine persönliche Anmerkung:
Santiago war als Wallfahrtsort in der "Blüte" des Jakobswegs im
12. Jahrhundert sogar von größerer Bedeutung als Rom und Jerusalem.
Im Gegensatz zu diesen wurde
und wird Santiago vor allem von Fußpilgern besucht.
Im Mittelalter stellte der Jakobsweg einen Weg ins Ungewisse dar, vor dessen
Aufbruch die Pilger ihre Familienangelegenheiten regelten und ihr Testament
machten. Sie waren monate- oder jahrelang unterwegs, konnten sich auf ihrem Weg
nach Westen häufig nur an der Sonne orientieren und an den vielen Legenden, die
sich um die am Camino liegenden Orte ranken.
Heute ist alles leichter. Der Jakobsweg ist durchgängig markiert und die Orientierung bereitet (hoffentlich) keine Probleme mehr. Wir würden uns trotzdem freuen, wenn der Charakter eines individuellen Pilgerweges erhalten bliebe. Ganz einfach deshalb, weil wir glauben, dass die Menschen, die ihn gehen, etwas in unserer hektischen Zeit Seltenes erleben können, das gerade heute besonders wertvoll und wichtig wäre: Nämlich, zu sich selbst zu finden, über das eigene Leben nachdenken zu können und neue Kraft zu schöpfen. Aus dem Wissen und der unterwegs gewonnenen Erfahrung heraus, dass man ans gesteckte Ziel kommt, wenn man nur viele kleine Schritte in die richtige Richtung unternimmt.
Pilgern, wie wir es vermitteln möchten, heißt, sich der Fremde auszusetzen, morgens nicht zu wissen, wo man abends schläft, auf die Gastfreundschaft fremder Menschen angewiesen zu sein, das Allein- und Ausgesetztsein auszuhalten, loszulassen vom bisher Gewohnten. Es heißt auch, sich darauf zu freuen, abends mit Gleichgesinnten Gedanken auszutauschen und Gespräche über Gott und die Welt zu führen. Und ganz allmählich zu spüren, dass man seine eigene Mitte wieder findet, dass man selbst mit jedem Schritt stärker wird, gerade weil man vieles aus eigener Kraft meistern kann, und dass man auch wieder zu seinen eigene Wurzeln und zu seinem eigentlichen Schöpfer Zugang findet. Dass man durch das einfache Leben unterwegs, und mit einem festen Ziel vor Augen, begreift, dass auch schwierige Ziele durch viele kleine Schritte erreichbar sind, um aus diesem Wissen heraus die Freude und Befriedigung zu erfahren, die aus den Augen aller Jakobspilger bei der Ankunft in Santiago leuchten.
Wir wünschen dem Jakobsweg, dass er es noch lange vielen Menschen ermöglicht, auf ihm das "Wagnis ihres Weges" auf sich zu nehmen.
Wir würden uns freuen, wenn wir mit unserer Wegbeschreibung viele Pilger ermutigen könnten, zu IHRER Pilgerreise nach Santiago de Compostela aufzubrechen, und zwar von der "eigenen Haustüre" aus. Wir sind uns sicher, dass sich jeder Pilger dadurch eine bleibende Erinnerung an ein großes und tiefgreifendes "Erlebnis des Lebens" schaffen wird.