
Santa Maria de Lara
Das Kirchlein ist einfach zu schön! Am Fuß
eines Gebirgszuges, ganz allein auf einem kleinen Hügel in einer
Wiese stehend, zieht es Besucher magisch in seinen Bann. Das ist es,
was wir an Spanien so lieben, vielleicht, weil es das bei uns kaum
mehr gibt: Stundenlang läuft oder fährt man durch einsame
Landschaften, ab und zu ein Dorf, eine Schaf- oder Ziegenherde
abseits des Weges, dann wieder Leere. Und urplötzlich, wie aus dem
Nichts, taucht ein Kloster auf, eine Burg oder – wie hier – ein
altes Kirchlein aus westgotischer Zeit: Santa Maria de Lara, etwa
einen Kilometer außerhalb von Quintanilla de las Viñas.
Es liegt ein wenig abseits der Strecke zum
Kloster Santo Domingo de Silos südlich von Burgos, das Jakobspilger
häufig besuchen: Inmitten trockener Erde eine kleine Wiese, darauf
ein westgotisches Kirchlein, klein, geduckt, altersgrau. Aus
verschieden großen, ockerfarben und grau schimmernden Quadersteinen
ohne Mörtel zusammengefügt, von wundervollen friesartigen Dekors
durchzogen, mit Weinranken und Trauben, Blumen, Tieren – Pfaue oder
Hühner? – und fantasievollen Fabelwesen. Dazwischen Buchstaben,
Anagramme, ob sie noch jemand deuten kann? Während wir, wie aus der
Zeit gefallen, im Zeitlupentempo das gerade mal neun mal drei Meter
umfassende Kirchlein umrunden, steigt uns der Duft von Kräutern und
Wärme in die Nasen und fast scheint es, als käme er von den
steinernen Blumen und Ranken, die wir so fasziniert betrachten.
Manchmal steht das Kirchlein offen und man kann
durch eine niedrige Tür eintreten. Nur durch kleine Fensterschlitze
in den Mauern fällt etwas Licht ins Innere. Wenn sich die Augen an
das Dämmerlicht gewöhnt haben, erkennt man vor der Apsis einen
großen Triumphbogen. Auch seine Steine sind behauen und verziert mit
Bildern von Menschen, Tieren und Pflanzen. Die Kapitelle
faszinieren: Auf dem rechten wird die Sonne – SOL steht darin – auf
dem linken der Mond – LUNA – von Engeln flankiert. Der Mond hat
kurioserweise einen Bart, ist also als männliche Person dargestellt,
abweichend von der traditionellen Darstellung als Frau. Ob es sich
hier um heidnische Symbolik handelt oder um anrührende
frühchristliche Glaubenszeugnisse einer längst vergangenen Zeit?
Über dem Bogen Christus als Pantokrator (Weltenherrscher).
Vermutlich aus dem 7. Jahrhundert stammend, gilt das Kirchlein als
frühchristlich-westgotisch mit byzantinischen Einflüssen, wie am
Beispiel der Weinranken ersichtlich ist. Es erinnert auch an San
Juan Bautista in Baños de Cerrato
südlich von Palencia aus dem Jahr 661, das die älteste
erhaltene Kirche Spaniens sein soll und mit ihren Kapitellen und
Hufeisenbögen ebenso beeindruckt.
Wie wohl die Westgoten zu ihrem Ruf, Barbaren
oder primitiv gewesen zu sein, gekommen sind? Vermutlich durch ihr
jahrzehntelanges kriegerisches Umherziehen auf der Suche nach neuem
Land. Die Zeugnisse aus ihrer Zeit in Spanien, seien es Kirchen oder
auch ihre Regierungsform – die spanische und schwedische Monarchie
leiten sich offiziell von den Westgotenkönigen ab – sprechen eine
andere Sprache.
Sie herrschten in Spanien nach den Römern vom
5. bis zum Beginn des 8. Jahrhunderts und machten Toledo zur
Hauptstadt und zu ihrem Königssitz. Dem arianischen Glauben
anhängend, der die Wesensgleichheit von Christus mit dem Vater
verneint, regierten sie wohl zunächst nur als dünne Oberschicht. Als
ihr König Rekkared auf dem Konzil von Toledo 589 offiziell vom
Arianismus zum Katholizismus übertrat, kam es schnell zur
Verschmelzung der Westgoten mit der ibero-romanischen Bevölkerung.
Die Konzile in Toledo hatten allerdings nicht nur religiöse, sondern
auch politische Bedeutung, so wurde die Thronfolge geregelt und
Gesetzesbücher neu gefasst. Kirchliche und weltliche Macht flossen
in Toledo zusammen. Zum ersten Mal bildete sich so etwas wie ein
Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner Spaniens heraus, ohne
Rücksicht auf ihre ethnische Herkunft. Und das Land entwickelte sich
unter den Königen Wamba und Rekkeswind zur Hochblüte, die zweite
Hälfte des 7. Jahrhunderts wird als die „goldene Zeit“ des
Westgotenreiches von Toledo bezeichnet. Doch es kam, wie es kommen
musste, den großen Königen folgten einige weniger gute,
Streitigkeiten um die Nachfolge schwächten das Reich, verursachten
seine Aufteilung...
Um die Spuren der Westgoten weiter zu
verfolgen, lohnt sich der Besuch von Toledo, ebenso wie von Arcos de
la Frontera in Andalusien, wo die Schlacht am Rio Guadalete den
Untergang der Westgoten in Spanien besiegelte.
Doch für uns war der Abstecher nach Quintanilla de las Viñas ein krönender Abschluss der Pilger-/Wanderreise durch Spanien in jenem Jahr. Toledo folgt(e).