Münchner Jakobsweg - Der Rosengarten

Als wir zum ersten Mal von München nach Santiago pilgerten, haben wir ihn glatt übersehen. Allzu sehr spukte der Alltag noch in unseren Köpfen, so dass wir die unauffällige Eisentür direkt am Weg, die in den Rosengarten führt, gar nicht wahrnahmen. Kein Wunder, vom Marienplatz aus sind es nur wenige Kilometer bis hierher, zwischen Wittelsbacher Brücke und Braunauer Eisenbahnbrücke versteckt sich der romantische Garten. Und wer Ruhe sucht auf seiner langen Pilgerreise, dem drängt sie sich hier zum ersten Mal förmlich auf.

Nur ein paar Schritte von der Isar entfernt, betritt man diese kleine Oase und steht beinahe sofort in einem Meer von Rosen. Seit 1955 gibt es den etwa 4500 Quadratmeter großen Garten und er erfreut zu allen Jahreszeiten seine Besucher, meist Münchner. Am schönsten ist er natürlich, wenn die Rosen blühen, aber er bietet vom frühen Frühjahr bis weit in den Herbst hinein eine bunte Blumenpracht, von den Winterlingen und Krokussen angefangen, über Magnolien- und Fliederbüsche,  bis zu den Sonnenhüten und Dahlien im Herbst. Sogar ein kleiner Giftgarten ist angelegt, in dem man sein Wissen über Giftpflanzen erweitern kann. 

Ganz alleine ist man allerdings meist nicht: Unter den Obstbäumen in der Mitte haben junge Mütter Decken ausgebreitet, wo sie mit ihren Kindern spielen; auf den bereitgestellten Stühlen und Bänken wird die Tageszeitung gelesen, und nicht nur Senioren dösen in der warmen Sonne vor sich hin, genießen den Duft der Blumen und Kräuter und das Gezwitscher der Vögel.

Seit wir ihn zum ersten Mal aufsuchten, gehört er zu unseren Lieblingsplätzen in der Stadt und wir kommen oft hierher, um die einzigartige Atmosphäre dieses kleinen Paradieses zu genießen und uns dabei an unsere Pilgerreise zu erinnern. 

Trotz der bunten und wunderschönen Blumenpracht sind es vor allem die Rosen mit ihrem zarten Duft, die uns immer wieder in ihren Bann ziehen:

Fasziniert betrachten wir die Pracht, bleiben an der üppigen Schönheit und den leuchtenden Farben einer Blüte hängen, schnuppern ausgiebig daran – immer schon haben Menschen Rosen geliebt. Für was steht diese Blume nicht alles: »Blüte der Vergänglichkeit«, »Rad des Lebens«, »Rose der Zeit«, »Mantel der Venus«, um nur einige Bedeutungen zu nennen. Auf Hebräisch heißt Rose »Schoschana« – Susanna –, manchmal wird das auch als Lilie übersetzt, jedenfalls ist sie eine Art Urblume.

Friedrich Weinreb hat sich ausgiebig mit dem Geheimnis der mystischen Rose beschäftigt und warum sie mit ihren 13 Blütenblättern als Symbol für die Grundstruktur des Lebens gesehen wird: Zwölf deshalb, weil das Jahr zwölf Monate hat, das 13. steht für die nächste Stufe des Lebens in einer anderen Welt, der Kreis erhebt sich gleichsam zur Windung wie die Spirale. In unserer realen Welt ist nur eine Windung sichtbar, die unterste. In der nächsten Windung ist das Leben zwar nicht mehr sichtbar, aber auch da. Als Symbol hat die Rose nicht den Kreis, sondern die Spirale, nur sie ermöglicht es, eine Ebene höherzusteigen.

Die Rose ist auch Ewigkeits- und Gottessymbol, steht für das Mysterium des Ganzen. Finden wir sie deshalb so oft an den romanischen Kirchen des Pilgerweges in Stein gemeißelt? Kommt es daher, dass viele Menschen die Sehnsucht in sich tragen, das Leben zu verstehen, zu etwas in Beziehung zu setzen, das wir zwar spüren, für das wir aber keinen Begriff haben? Ein Symbol bleibt, das Leben – die Rose – kommt und vergeht.

Ja, zwischen den Rosen im Rosengarten zu sitzen und ihren Duft einzuatmen, erzeugt, zumindest bei uns, eine innere Ruhe, ein Loslösen vom Alltag und wir können uns so im Geiste jedes Mal wieder auf unsere Pilgerreise begeben und die damals gewonnenen Erkenntnisse abrufen.

Und wer weiß, vielleicht erzeugt dieser kleine Paradiesgarten auch bei Euch, liebe Pilgerinnen und Pilger, die Ihr erst seit kurzer Zeit auf dem Münchner Jakobsweg unterwegs seid, einen ersten Impuls:  zum Nachdenken über das Leben, die Pilgerreise und warum Ihr auf den Jakobsweg aufgebrochen seid. Möge Euch dieses erste „Innehalten“ im Rosengarten helfen, ein Stück weit in die innere Ruhe einzutauchen, die man auf einem so langen Weg braucht, um das Herz zu öffnen für neue Eindrücke und Erkenntnisse, damit die Pilgerreise gelingt und Ihr danach wohlbehalten und voller neuer Ideen nach Hause zurückkehrt.