Schutzengel am Jakobsweg

Glauben Sie an Schutzengel?

Der Glaube an Engel, also an mächtige Geistwesen, die in der Welt Gottes und der Menschen eine Rolle spielen, wird schon in der Heiligen Schrift beschrieben. Diese sog. Schutzengel sollen die Menschen in ihrem Leben begleiten und vor Schaden bewahren.

Ja, praktisch wäre so ein Schutzengel schon. Und wenn wir tief in uns hineinhorchen, meinen wir auch, so etwas wie seine Gegenwart schon gespürt zu haben. Wem ist es nicht schon passiert, dass jemand oder etwas zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufgetaucht ist und uns geholfen hat. Oder wie uns plötzlich „ein Licht aufging“ für die Lösung eines bedrückenden Problems. Und vor allem unterwegs auf dem Jakobsweg passieren viele Dinge, bei denen wir nicht an Zufall glauben mögen: ob es eine Begegnung ist, die uns einen für uns wichtigen Menschen kennenlernen lässt; oder das Bett, das wir im letzten Moment noch für die Nacht bekommen; ob uns jemand unser vergessenes Handy nachgetragen hat usw., wir schreiben es gerne Jakobus oder eben unserem Schutzengel zu. Und dieser Glaube an Schutzengel ist nicht nur bei den christlichen Pilgern vorhanden, sondern bei Menschen aller Couleur.

in meinem Pilgertagebuch findet sich ein Eintrag darüber, dass wir uns unterwegs mit diesem Thema beschäftigten:

7. September 2000 – unterwegs von Triacastella nach Sarria:

»Was für ein herrlicher Tag! Der lange Pilgerweg wirkt inzwischen bereits erheblich auf uns, das tägliche Gehen bricht langsam etwas in uns auf. Obwohl todmüde, sind wir ruhig und gelassen und auch ein wenig zum Spaßen mit Jakobus aufgelegt: Wir loben ihn, weil er wettermäßig so gut für uns sorgt, und schreiben ihm auch zu, dass sich Reinholds Sehne, die seit Tagen schmerzte, beruhigt hat. Wir müssen doch ein paar gute Schutzengel haben, einer alleine kann das gar nicht schaffen! Und wir malen uns aus, wie alle Jakobspilger nach ihrem Tod als Schutzengel für die gerade unterwegs befindlichen Pilger eingesetzt werden. Das dürften ja inzwischen ausreichend viele sein. Wer wohl für welche Pilger zuständig ist? Ich würde mich wohl eher um die fußkranken oder zickigen Frauen kümmern, während sich Reinhold der sportlichen „Pilger“ annehmen würde, für die nur zählt, wie viele Tage sie nach Santiago brauchen! Wie im Flug vergeht so die Zeit und wir stehen an der Brücke von Sarria ...« Bei der Entstehung des Münchner Jakobswegs und bei der Betreuung der Pilger, die diesen Weg gehen, konnten wir die Hilfe vieler Menschen erfahren. Einige von ihnen empfanden wir schon zu ihren Lebzeiten als wahre Engel. Inzwischen ist der Weg bereits über ein Jahrzehnt alt und die Zeit brachte es mit sich, dass einige unserer Pilgerfreunde am Ende ihres irdischen Pilgerwegs angekommen sind. Das gemeinsame Pilgerziel Santiago hatte uns zusammengeführt, wir waren ein Stück des Weges gemeinsam gegangen und voller Freude in Santiago angekommen. Nach der Rückkehr beteiligten wir uns alle auf unterschiedliche Weise an der Pflege dieses wichtigen Europäischen Kulturgutes.

Als wir vom Tod von Pilgerfreunden erfuhren, fiel uns spontan unser Schutzengel-Gespräch auf dem Pilgerweg wieder ein: Vielleicht hat uns Jakobus ja eingeflüstert, welch wunderbare Schutzengel für Jakobspilger unsere Freunde doch abgeben würden! Welch tröstliche Vorstellung für uns! Denn wie oft hatte uns auf dem Camino das Gefühl überfallen, dass viele der Gedanken und Anliegen von Pilgern, die diesen Weg vor uns gegangen sind, auf dem Weg irgendwie greifbar sind.

Von ganzem Herzen wünschen wir unseren bereits „angekommenen“ Pilgerfreunden „Buen Camino“ bei ihrem spannenden Weg über Finis terrae hinaus. Mögen ihre Wünsche, Hoffnungen und ihr Glaube Erfüllung finden.


Bürgermeister Gerd Hoffmann, Schondorf

24. Mai 2003 auf der Einweihungsfeier des Münchner Jakobswegs in Schondorf. Eintrag von ihm in unserem Pilgertagebuch:

„Es war eine große Freude, mit Ihnen die Eröffnung des „Münchner Jakobsweges“ von München bis Bregenz in Schondorf am Ammersee vorzubereiten. Ich denke, der Tag wird uns allen in schöner Erinnerung bleiben. Ich hoffe, dass die Begegnung, der gemeinsame Weg mit diesem Tag nicht beendet sein wird. Ich freue mich auf ein weiteres Stück des Weges.
Ihr Gerd Hoffmann“

Er hatte bereits eine Buspilgerfahrt nach Santiago hinter sich, als er zum ersten Mal etwas vom Entstehen des Münchner Jakobsweges hörte. Und war sofort Feuer und Flamme! Er inspirierte seine Bürgermeister-Kollegen, beteiligte sich persönlich am Anbringen der Muschelmarkierungen in Schondorf und als er von der geplanten Einweihung des Weges in München hörte, war seine Reaktion: „Das reicht nicht! Wir müssen den Weg unbedingt auch in Schondorf einweihen. Schließlich sind wir Jakobsgemeinde und haben eine Jakobskirche aus dem Jahr 1149, in der vielleicht schon im Mittelalter Jakobspilger übernachtet haben.“ Und er richtete eine wunderbare Feier aus, an der die ganze Gemeinde mitwirkte. Direkt am Ammersee, vor dem Jakobskirchlein, erschienen viele Schondorfer in der Tracht der Jakobspilger, die sie sich 1999 zur 850-Jahr-Feier von St. Jakob zugelegt hatten. Altabt Odilo Lechner hielt die Festmesse, die Schondorfer führten Theaterstücke rund um Jakobus auf und die etwa 1500 Pilger und Gäste waren begeistert.
Bei Bürgermeister Hoffmann hielt die Begeisterung und Freude am Pilgerweg an, sehr aktiv und engagiert kümmerte er sich weiter darum. Umso trauriger waren wir über die Nachricht von seinem plötzlichen Tod im Mai 2006. Brauchte Gott wieder einen Schutzengel für den Jakobsweg? Und wenn wir heute durch Schondorf schlendern und an einem Muschelschild stehenbleiben, tauchen sofort die Erinnerungen an diesen aktiven und lebensfrohen Menschen und Jakobspilger auf, der uns so tatkräftig unterstützte.


Alt-Abt Dr. Odilo Lechner, St. Bonifaz und Andechs

Natürlich kannten wir Abt Odilo schon lange vorher: Er war bekannt durch seine hervorragenden Predigten, fundierten Vorträge und interessanten Bücher. Deshalb baten wir ihn im Mai 2003, den Festgottesdienst zur Einweihung des Münchner Jakobswegs zu zelebrieren. Er sagte sofort zu! Und wir lernten einen gütigen, warmherzigen und humorvollen Menschen näher kennen, der uns auch durch seine Bescheidenheit tief beeindruckte.

In seiner Predigt bei der Einweihungsfeier in Schondorf erinnerte er daran, dass wir Menschen am liebsten bei dem bleiben, was wir sind und was wir haben und appellierte an unseren Mut zum Aufbruch und zur Veränderung. Etliche Jakobspilger nahmen sich das sogleich zu Herzen, bereits am Nachmittag brachen die ersten nach Santiago auf.

Unser Kontakt zu ihm ist seither nie mehr abgebrochen. Mit spirituellen Impulsen unterstützte er uns bei Seminaren in Andechs; zeigte uns mit Freude die Benediktinerabtei St. Bonifaz, in der er seine irdische Heimat hatte. In der Kirche legte er uns besonders den mehrteiligen Bilderzyklus ans Herz und brachte uns dessen theologische Auslegung nahe.
Ein weiterer Höhepunkt der Begegnung war das zehnjährige Jubiläum des Münchner Jakobswegs. Nun schon Alt-Abt, sprach er über den Psalm 122 und Jerusalem und erinnerte daran, dass Pilger und alle Menschen ein Ziel brauchen, auf das sie zugehen und sich von Gott gerufen fühlen sollen.

Am 3. November 2017 hat Gott ihn zu sich gerufen und er ist glücklich und „mit weitem Herzen“ – seinem Wahlspruch – diesem Ruf gefolgt. Seine Todesnachricht erreichte uns zum gleichen Zeitpunkt wie die Ankündigung seines letzten Buches: „Engel, die mich begleiten“. Zufall? Wir sind uns sicher, dass er auch einen wunderbaren Schutzengel für Jakobspilger abgeben wird. Trotzdem werden wir ihn sehr vermissen.




Frater Lambert Stangl, Gastmeister im Kloster Andechs

„Meine netteste Pilger-Begegnung war die mit einem kleinen Baby, das seine Eltern auf dem Münchner Jakobsweg mitgetragen haben. Und die Schwestern vom Angerkloster haben ihm sogar einen Pilgerpass ausgestellt. Es war sooo lieb!“

Ja, das konnten wir gut nachvollziehen, es passte einfach zu diesem liebenswürdigen Mönch. Schon bald nach der Einweihung des Münchner Jakobswegs hieß das Kloster Andechs, allen voran Frater Lambert, die Jakobspilger herzlich willkommen und verhielt sich so, wie es die 1500 Jahre alte Benediktusregel vorsieht: „Alle Gäste, die zum Kloster kommen, sollen wie Christus aufgenommen werden; denn er wird einmal sagen: ‚Ich war Gast und ihr habt mich aufgenommen“ (Regel Benedikts 53,1).
Für uns wurde Frater Lambert zu einem guten Pilgerfreund, der immer zur Stelle war, wenn man ihn brauchte. Ob er sich liebevoll und pragmatisch der Teilnehmer für Pilgerseminare annahm oder für eine Brotzeit den schönsten Platz am Ammersee aussuchte, ob er sich zu Aufnahmen für das Bayerische Fernsehen zur Verfügung stellte, oder im Benediktusstüberl ein gutes Andechser Bier kredenzte – oder ob er gar der Anstrengung trotzte und mit uns auf einem Teilstück des Münchner Jakobswegs pilgerte und sich dabei über „Gott und die Welt“ austauschte, stets war er ein zuverlässiger und liebenswerter Pilgerfreund. Sein überraschender Tod im Herbst 2012 hat nicht nur bei uns eine tiefe Lücke hinterlassen. Sein freundliches und aufmunterndes Lächeln nie mehr sehen zu können, tut immer noch weh. Aber – kann man sich einen besseren Schutzengel für den Jakobsweg vorstellen?


Konrad F. Meyer, Seefeld am Ammersee

Erste Begegnung im Frühjahr 1999 im Kulturstadel von Dießen:

„Über diese romanische Brücke aus dem 12. Jahrhundert sind auch schon die mittelalterlichen Pilger gewandert, unter ungleich schwierigeren Bedingungen als heute. Wie froh mögen sie gewesen sein, als sie eine Brücke fanden, stellt Euch vor, unter welchen Strapazen sie diesen Fluss sonst hätten überqueren müssen …“

Gebannt lauschten wir seinen Worten, die Bilder von mittelalterlichen Pilgern, wie wir sie aus Büchern kennen, tauchten vor dem geistigen Auge auf …

Konrad brachte uns bei diesem ersten Vortrag über den Jakobsweg, den wir hörten, nicht nur besonders schöne Landschaften und kulturelle Höhepunkte des Jakobswegs nahe, sondern weckte auch unser Interesse für die Jakobspilger des Mittelalters. Konrad war uns ein langjähriger, guter Pilgerfreund, und als er sich im Jahr 2011 für immer von uns verabschiedete, beeindruckte er uns ein letztes Mal:

"Ein großes Ziel meines irdischen Pilgerwegs war Santiago. Es hat mir unglaublich viel Freude gebracht. Jeder Weg wird aber über Finis terrae hinausgehen. E ultreia! E sus eia! Deus aia nos y Santiago! (Weiter! Auf geht`s! Gott steh uns bei und Sankt Jakobus!)
Lebt Wohl! Euer Konrad“

Von ganzem Herzen wünschen wir unseren bereits „angekommenen“ Pilgerfreunden „Buen Camino“ bei ihrem spannenden Weg über Finis terrae hinaus. Mögen ihre Wünsche, Hoffnungen und ihr Glaube Erfüllung finden. Alle zeichneten sich durch besonderes soziales Engagement aus. Auf ihrer Lebenspilgerreise waren sie Jakobus begegnet und identifizierten sich mit ihm und seinem Weg. Gemeinsam war ihnen, dass sie einen großen Teil ihrer Kraft und Energie für andere aufgewandt haben. Mögen sie als „Schutzengel“ auf dem Münchner Jakobsweg viele Pilger begleiten und ihnen zur Seite stehen. Vielleicht sind sie ja besonders gut dafür geeignet, den Menschen zu helfen, die sich auf den Weg machen, um den Tod eines geliebten Menschen zu verarbeiten. Der Pilgerweg wird ja gerne mit dem Lebensweg verglichen. Wir malten uns unterwegs das Ende unseres Pilgerwegs und die Ankunft in Santiago in den schönsten Farben aus – das tatsächliche Erlebnis der Ankunft in Santiago hat all unsere Vorstellungen weit übertroffen, aber es fiel uns dennoch schwer, uns vorzustellen, am Ende des Lebensweges angekommen zu sein und darüber Freude zu empfinden, obwohl unser Glaube das ja so vorsieht. Die Erkenntnis darüber steht bei vielen Pilgern noch aus, die Suche danach ist vielleicht auch eine Herausforderung, die wir mit auf den Jakobsweg nehmen können.